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MICHAEL LÜCKE

Geschäftsführer des Chiemgau Tourismus e. V

Edition: Traunstein 2010

 
   
   
   
   
   
     
     
     
   
 

CHIEMGAU TOURISMUS

Michael Lücke, Geschäftsführer des Chiemgau Tourismus e. V., steht hier Rede und Antwort zur Zukunft unserer Ferienregion

 

Herr Lücke, der neue Slogan unserer Ferienregion lautet: Chiemgau - Bayerns Lächeln. Gibt es angesichts der eher verhaltenen Übernachtungszahlen denn noch etwas zu lachen?

Ich bin der Auffassung, dass es bei uns sogar sehr viel zu lachen gibt. Zunächst einmal über diese wunderbare Bilderbuchlandschaft, in der wir hier leben. Darüber freuen sich Gäste und Einheimische gleichermaßen. Sie sprechen natürlich zu Recht die Übernachtungszahlen an, die sich nach einem wiedervereinigungsbedingten Hoch im Jahre 1992 deutlich verringert haben. Das zeigt aber, dass Handlungsbedarf gegeben ist. Inzwischen wurde dies auch von den touristischen und politischen Akteuren erkannt, und der Chiemgau Tourismus e. V. wurde völlig neu aufgestellt. 

Welche besonderen Herausforderungen sehen Sie mittel- und langfristig auf den Tourismus in unserer Region zukommen? 

Zunächst einmal geht es darum, im Chiemgau ein „Wir-Gefühl“ zu entwickeln. In der Vergangenheit haben doch die Orte überwiegend für sich allein gearbeitet. Jetzt haben wir uns auf eine neue Art der Zusammenarbeit verständigt, die wesentlich stärker auf die Destination Chiemgau ausgerichtet ist. Somit sind wir mit einer weitaus größeren und wettbewerbsfähigen Destination am Markt, wovon letztendlich wieder jeder profitieren wird. Natürlich erfordert das ein Umdenken der Orte und Leistungsträger, aber mittlerweile ist allen klar, dass unsere Bilderbuchlandschaft allein nicht ausreicht, um in der Zukunft positivere Ergebnisse erzielen zu können.

Was soll Ihrer Meinung nach die Gäste überhaupt in den Chiemgau ziehen? Natur, Kultur? Oder die Menschen?

Alles zusammen im Verbund. Denn daraus entsteht das, was den Chiemgau auszeichnet: Lebensfreude und Lebensgefühl

Dem anhaltenden Trend „Zurück zur Natur“ trägt der Chiemgau mit einem phantastischen und einzigartigen Angebot doch Rechnung, müsste demnach auch wesentlich besser punkten. Fehlt es an der professionellen Vermarktung unserer Region?

Um eine professionelle Vermarktung vorantreiben zu können, müssen wir uns erst einmal mit dem Thema „Destinationsvermarktung“ insgesamt beschäftigen. Kleinteiliges Denken ist dabei völlig fehl am Platz, man muss schon die gesamte Region sehen und diese dann mit entsprechenden Themen untersetzen. Die Auswahl an Themen ist doch - global gesehen - gerade im Chiemgau immens groß, haben wir doch sehr viel zu bieten was den Gästen Freude bereitet und wovon andere nur träumen können. Dazu zählen die Kernthemen Rad, Wandern, Sport und Events, Tradition und Kultur. Aber sehr viel stärker als in der Vergangenheit ist auch globales Denken der regionalen Akteure Voraussetzung, was letztendlich auch der Umsetzung bedarf. Wer heute seine Urlaubsentscheidung trifft, kann dabei aus einem unglaublich großen Angebot an Möglichkeiten wählen. Mit 500 Euro kann man heute beispielsweise in die Türkei fliegen, nach Spanien, Tunesien - aber man kann auch zu uns kommen. Deshalb ist es um so wichtiger, die Attribute, die uns abheben von anderen Regionen, die so genannten Alleinstellungsmerkmale, stärker hervorzuheben. Die Natur spielt dabei selbstredend eine bedeutende Rolle, reicht aber, wie gesagt, alleine nicht aus. Man muss sie schon mit individuellen Angeboten koordinieren - und das werden wir auch tun.

Welche Projekte haben Sie in Planung, um die Position des Chiemgaus als Tourismushochburg wieder zu festigen?

Zunächst muss ein gemeinsames Fundament geschaffen werden, der erste Schritt in dieser Richtung wurde bereits mit der Entwicklung unseres neuen Logos getan. Bundesweit haben sich daran vier Marketing-Agenturen bei unserer Ausschreibung beteiligt. Am besten auf den Punkt gebracht hat dies eine Agentur aus Bad Reichenhall mit dem Slogan „Chiemgau - Bayerns Lächeln“. Die neue Marke wird die Klammer sein für die zukünftige Vermarktung der Region und gilt als Basis für unsere zukünftige Arbeit, die das „Miteinander“ wesentlich mehr in den Vordergrund stellen wird als bisher. Darüber hinaus arbeiten wir an dem Relaunch unseres Internetauftrittes, einem neuen Messestand und einer großflächigen Kinowerbung in unseren wichtigsten Quellmärkten in Nordrhein-Westfalen, Hessen, Baden Württemberg, Berlin und Hamburg. Dazu nutzen wir Ausschnitte unseres neuen Imagefilms. Des Weiteren entwickeln wir derzeit innovative Pauschalangebote in den Bereichen Natur und Aktiverlebnisse:

Wie schätzen Sie die Auswirkungen der Wirtschaftskrise auf die kommenden Jahre ein?

Ich denke, dass wir die Talsohle erreicht haben. Für das Jahr 2009 war schon ein verändertes Reiseverhalten der Deutschen zu beobachten. Trends, die teilweise schon länger abzusehen waren, haben sich in diesem Jahr manifestiert. Es wird kurzfristiger gebucht, die Reisezeit wird kürzer, auch das Budget der Urlauber ist geringer geworden. Es hat sich aber auch gezeigt, dass die klassischen Urlaubsziele im Mittelmeergebiet wie Mallorca, Griechenland oder die Kanarischen Inseln, 2009 ganz klar zu den Verlierern gehören - teilweise mit Verlusten bis zu 20 Prozent, was die Übernachtung der deutschen Gäste betrifft. Innerdeutsch sind wir dagegen vergleichsweise stabil geblieben. In Bayern waren es in etwa drei bis vier Prozent, im Chiemgau liegen wir sogar nur zwischen zwei und drei Prozent im Minus. Wohlgemerkt: Wir befinden uns angesichts dieser Zahlen in einer Weltwirtschaftskrise, wie wir sie schon lange nicht mehr zu verzeichnen hatten. Das soll nicht beruhigend wirken, aber diese Zahlen lassen doch hoffen. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir in der Zukunft mit unserer neuen Positionierung und den neuen Themen eine gute Chance haben, weil sie authentisch sind. Darüber hinaus haben wir auch noch die Möglichkeit, von den Fehlern anderer zu profitieren, was beispielsweise die Bausünden auf Mallorca, den Kanaren oder auch an der Schleswig-Holsteinischen Ostseeküste betrifft. Dort wurde, ohne Rücksicht auf die Natur, vieles einfach zubetoniert. Da grenzt ein Hotel- oder Appartementsilo an den anderen, und dies entspricht nicht mehr den heutigen Wünschen. Die Bausünden der vergangenen Jahrzehnte werden sich in den Mittelmeerregionen in Zukunft noch bitter rächen.

Damit sind wir beim Thema „Qualität“. Was sind aus Ihrer Sicht künftig die wichtigsten Qualitätskriterien und Argumente, um Gäste von unserem Ferienangebot zu überzeugen?

Da komme ich wieder auf die Natur zu sprechen, und die ist hier qualitativ mit das Beste, was Deutschland und sogar Europa zu bieten haben. Überzeugen können wir auch jetzt schon mit der Qualität unserer touristischen Infrastruktur, obwohl auch da mancherorts noch Nachholbedarf besteht. Denken Sie doch zum Beispiel mal an unser riesiges Loipennetz für unsere wintersportbegeisterten Gäste. Insgesamt gesehen ist das Angebot bereits sehr stimmig und durchaus als hochwertig und breit gefächert zu betrachten. Aus unserer Sicht gibt es allerdings noch ein Defizit bei qualitativ hochwertigen Hotels.

Konkret gesagt: Dem Chiemgau fehlt ein 300 Betten-Hotel im Vier-Sterne-Bereich.

Ob es jetzt unbedingt 300 Betten sein müssen, bleibt dahingestellt, aber ansonsten ist das richtig. Uns fehlen auch Hotels für Tagungen, allein Traunstein bietet dazu schon entsprechendes Potenzial. Was außerdem noch fehlt, ist ein hochwertiger Ferienpark, bestehend aus familiengerechten Bungaloweinheiten mit zentralen Bereichen - zum Beispiel für Wellness oder Kinderanimation auf hohem Niveau und in guter Lage.

Dazu bedarf es Investitionsbereitschaft, die ich vielen einfach abspreche - obwohl sie die Mittel dazu hätten. Und auch guten Geschmack, da fehlt es ja gänzlich. Manche halten das Ambiente ihrer Häuser für „urig“, tatsächlich ist es aber schlichtweg reif für den Sperrmüll. Da wurde zum Teil Jahrzehnte lang nichts investiert. Und niemand soll denken, dass es einem Gast, auch wenn er nicht zu den Top-Verdienern gehört, an gutem Geschmack fehlt. Das hat nichts mit Geld zu tun, sondern mit Kreativität - oder sind Sie da anderer Meinung?

Auf den einen oder anderen Betrieb trifft das wohl zu. Festzustellen ist aber auch, dass Betriebe die über längere Zeit nicht investieren, keine großen Chancen auf dem Markt mehr haben. 

Vielleicht sollte man es Unternehmern die investieren, ermöglichen, im ersten Jahr ihre Investitionen zu 100 Prozent abzuschreiben, und wenn dies aufgrund der Gewinnsituation nicht möglich ist, sie vorzutragen. Das wäre doch ein Anreiz, aus dem Cash-flow zu finanzieren.

Hört sich gut an, aber da sprechen Sie am besten mal mit unserem Finanzminister.

Werde ich demnächst machen. Aber zuvor würde mich noch interessieren, ob Sie Beschwerden von Chiemgau-Besuchern erhalten und falls ja, welche?

Bei rund einer Million Urlaubsgäste und einigen Millionen Tagesgästen gibt es immer wieder mal Beschwerden. In diesem Jahr war das beispielsweise die Mückenplage. Auch zum Thema Radweg rund um den Chiemsee gab es Beschwerden, weil sich Fußgänger und Radfahrer immer wieder mal in die Quere kamen. Durch den Bau eines neuen Radweges wird da zukünftig Abhilfe geschaffen werden. Es gibt auch Beschwerden darüber, dass man bei einer Radwanderung durch den Chiemgau in der Hochsaison oder am Wochenende Schwierigkeiten hat, für nur eine Nacht unterzukommen.

Wenn Sie einem Hotelier da einen guten Rat geben müssten, dann wäre das…

…sich auf Zielgruppen thematisch einzustellen, ein kompetentes, professionelles Angebot bereitzuhalten. Sei es für den Wanderer, den Radfahrer oder für den Golfer. Ein Mountainbiker braucht eine vernünftige Möglichkeit, sein Rad einzustellen, er sollte die Möglichkeit haben, sich ein kleines Lunchpaket vom Frühstücksbuffet zusammenstellen zu können, Kartenmaterial muss vorhanden sein und der Hotelier sollte selbst einige Routen kennen und entsprechende Tipps geben. Eine thematische Ausrichtung mit klarer Zielsetzung bringt wesentlich mehr als ein Einerlei, bei dem man versucht es jedem Recht zu machen. Das geht heute nicht mehr. Wer das beherzigt, wird vom Markt belohnt. Ägypten, Türkei, Portugal, Griechenland und auch Österreich werben in unseren TV-Medien um die Gunst der Gäste. 

Wo und wie wirbt die Destination Chiemgau?

Da kommt bei mir natürlich Neid auf, weil da ganz andere, um ein Vielfaches höhere Etats zur Verfügung stehen, als die, die wir hier in Deutschland haben. Dazu muss man natürlich wissen, dass der Tourismus in Ländern wie Österreich oder Portugal für die Volkswirtschaft einen erheblich höheren Stellenwert hat und daher politisch natürlich ganz anders angesiedelt ist als bei uns. Ich stelle immer wieder fest, dass in Deutschland seitens der Politik der Tourismus stets gelobt und hervorgehoben wird, aber wenn es ums Geld geht und konkret wird, erfährt man eher wenig Resonanz. Mit dem Etat, der uns hier zur Verfügung steht - etwa eineinhalb Millionen Euro - kommen wir mit TV-Spots nicht weit. Wir setzen vielmehr auf intelligente, kreative Lösungen, die nicht so viel kosten aber viel bringen. Wir begeistern Radio-, Fernseh- und Zeitungsredakteure mit spannenden Themen, die von diesen recherchiert und veröffentlicht werden.

Beispiele?

Dazu gehören Exkursionen in das Delta der Tiroler Ache, Vogelbeobachtungen oder das Leben einer Sennerin auf der Alm. Ein Millionenpublikum erreichen wir durch Fernsehproduktionen wie „Melodien der Berge“, die im Chiemgau aufgenommen werden und unsere wunderschöne Landschaft immer wieder in den Fokus stellen.

Thema Billigurlaub. Nimmt man die 199-Euro-Angebote aus dem Ausland näher unter die Lupe, wird man schnell eines Besseren belehrt was die Reisezeit, vor allem aber die Unterbringung betrifft. Qualität hat seinen Preis, oder sind wir alle bereits infiziert von „Ich-bin-doch-nicht-blöd“-Kampagnen?

Sicherlich ist der Verbraucher sehr sensibel geworden, was den Preis anbetrifft. Ich wehre mich aber ganz entschieden gegen die Behauptung, ein Auslandsurlaub wäre billiger. Das ist er nämlich in aller Regel nicht. Buchen Sie mal für eine vierköpfige Familie zur Sommerzeit im August eine Reise nach Mallorca, da werden Sie schnell feststellen, wie teuer diese Reise wirklich ist. Mit einer Ferienwohnung im Chiemgau kommt man da wesentlich günstiger weg. Wir haben aber auch immer wieder festgestellt, dass der Gast für ein gutes Angebot bereit ist, einen angemessenen Betrag zu bezahlen.

Da sind wir einer Meinung. Auf meinen eigenen Freizeitanlagen in Ruhpolding und Bergen praktiziere ich dies ja selbst von Anfang an und habe damit auch Erfolg. Landrat Steinmaßl ist ja ebenfalls der Meinung: Nicht alles geht über den Preis.

Richtig. So lange ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis besteht, honoriert dies der Gast auch mit seinem Wiederkommen. Themenwechsel: Sie stammen aus dem Norden der Republik, wie vertraut ist Ihnen mittlerweile der Chiemgau?

Ich komme aus Westfalen, habe vierzehn Jahre die Tourismusgeschicke des Harzes gelenkt und bin seit gut einem halben Jahr hier. Die Region habe ich bereits lieben gelernt, sowohl wandernderweise als auch per Fahrrad, und ich freue mich jetzt schon auf den Winter und dessen vielfältige Freizeitmöglichkeiten. 

Was würden Sie den Touristikern gerne ins Logbuch schreiben? Was den Politikern im Land?

Was unsere Region betrifft, habe ich festgestellt, dass hier eine förderrechtliche Ungleichbehandlung erfolgt im Vergleich zu den nordöstlichen Regionen Bayerns - insbesondere wenn es um Investitionen geht. Das Fördergefälle ist inzwischen nicht mehr gerechtfertigt und erschwert natürlich die Konkurrenzsituation - zum Beispiel mit Österreich -, wo wir ganz andere Steuersätze und ansonsten eine günstigere Ausgangssituation haben.

Ein paar Worte zu Ihrer Person. 

Ich bin 53 Jahre alt, habe Wirtschaftswissenschaften studiert, war lange Zeit beim Deutschen Reiseverband in Frankfurt tätig und somit stark mit der Branche der Reisebüros, Reiseveranstalter und der Fluggesellschaften verbunden. In den letzten Jahren fungierte ich als Geschäftsführer des Harzer Verkehrsverbandes und habe dort das Einmaleins des Destinationsmanagements kennen und umsetzen gelernt. Diese langjährige Erfahrung kann ich nun dem Chiemgau zur Verfügung stellen.

Wo machen Sie selbst am liebsten Urlaub?

Nach vielen Fernreisen ist Deutschland mein liebstes Urlaubsland geworden. Das Urlaubsangebot ist wirklich sehr umfangreich und auf alle Jahreszeiten ausgerichtet. Mehr Vielfalt in Landschaft, Kultur und Geschichte gibt es meiner Meinung nach kaum.

Herr Lücke, ich hoffe, dass Ihre Arbeit von Erfolg gekrönt wird. Vielen Dank für das Gespräch.

     
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