GERICHTSSTAND
- Ralf Hansen unterhielt sich mit Dr. Franz Lichtnecker, dem Mann, der
seine beruflichen Ambitionen in den Dienst der Justiz stellt und seit
März 2000 die Geschicke des Amtsgerichts Eggenfelden leitet
Dr. Lichtnecker,
Gerichtsurteile ergehen im Namen des Volkes. Kann man davon ausgehen: Wer Recht hat
bekommt auch Recht, oder bekommt man nur ein Urteil nach Beweislast?
Man darf davon ausgehen, dass meistens derjenige vor Gericht Recht bekommt, der Recht hat. Natürlich gibt es immer wieder Fälle, dass Parteien ihren
Anspruch nicht beweisen können, weil zum Beispiel Zeugen oder Urkunden fehlen und sie
deswegen den Prozess wegen der bestehenden Beweislast verlieren.
Gerade in den Medien ist die Berichterstattung über die Justiz immer noch von
Pauschal- und Vorurteilen geprägt, obwohl sich deren Produkte durchaus sehen lassen können, vor allem im
Aufgabenbereich der Amtsgerichte.
Naturgemäß wenden sich die Medien bei ihrer
Berichterstattung den schlagzeilen- trächtigen Gerichtsthemen zu, und das sind in der Regel Aufsehen
erregende Strafprozesse. In deren Rahmen tritt die Justiz in der Tat als hoheitlich handelnde
Autorität auf. Dieses Segment der Tätigkeit, gerade der Amtsgerichte, ist aber nur ein kleiner Ausschnitt aus der Gesamtpalette. Die
moderne Justiz versteht sich auch als bürgerfreundlicher
Dienstleistungsbetrieb. Denken Sie zum Beispiel an die Grundbuchämter, die bei Grundstücksgeschäften tätig werden, die
Vormund- schaftsgerichte mit den zahlreichen Betreuungen, an die Nachlassgerichte, welche die Erben feststellen, die
Familiengerichte, die nicht nur Scheidungen durchführen, sondern auch bei Fragen zur elterlichen Sorge oder dem Umgangsrecht
hilfreich zur Seite stehen, oder denken Sie an die Möglichkeit,
Vergleiche zu schließen. Das alles sind Tätigkeiten, die sich dem Dienstleistungsbereich zuordnen
lassen.
Wie sollte man vor Gericht auftreten, um seine Chancen nicht von vornherein zu
verschlechtern?
Es ist schon so, dass die
Richter, die meist über große Erfahrung verfügen, im Umgang mit allen Schichten der Bevölkerung bewandert sind und deswegen ihre Entscheidung nicht am
Auftreten der Partei festmachen, sondern neutral und objektiv entscheiden.
Wie wichtig ist für Sie eine klare Sprache vor
Gericht?
Je eindeutiger, knapper und
verständlicher man seine Position vorträgt, umso einfacher fällt es dem Gericht, die richtige
Entscheidung zu treffen. Die Gerichts- sprache ist zwar deutsch, aber die Richter in Eggenfelden verstehen auch bayrisch, was die Sache öfters
erleichtert.
Ist unser Rechtssystem nicht viel zu
kompliziert?
Die Frage ist im Ansatz sehr
berechtigt. Unser Staat ist ein sehr verrechtlichter Staat. Leider ist es so, dass der Gesetzgeber die Bürger und Gerichte mit einer Flut von Regelungen
konfrontiert, woran aber nicht nur der bundesdeutsche Ge- setzgeber schuld ist, sondern ein ganz
wesentlicher Teil den Aktivitäten der Europäischen Union zu verdanken ist. Und die Bundesrepublik ist verpflichtet, die von der EU erlassenen Normen umzusetzen und in nationales Recht
umzuwan- deln. Meiner Ansicht nach wäre hier etwas mehr Sparsamkeit durchaus
sinnvoll. Im Übrigen laufen diesbezüglich bereits teilweise sehr erfolgreiche
Bemühungen insbesondere auf Länderebene. In Bayern wurden im Zuge der so genannten „Deregulierungsoffensive“ in den letzten Jahren bereits dutzende entbehrlicher und unnötiger Rechtsvorschriften
abgeschafft.
Gibt es zu viele Instanzen?
Nein. Diskutiert wurde zwar schon einmal der Aufbau einer zweistufigen Justiz, ich meine aber, dass der bestehende Instanzenzug, der in der Regel drei Rechtszüge umfasst,
durchaus angemessen ist. An der Basis das Amtsgericht als Ausgangs-
gericht, dann die Möglichkeit der Überprüfung durch das Landgericht, das auch die tatsächlichen Feststellungen des Amtsgerichts nochmals prüft und gegebenenfalls Beweis
aufnimmt, und dann als dritte Instanz das Oberlandesgericht. In Sonder- fällen noch der
Bundesgerichtshof, der dann eine reine Rechtsprüfung vornimmt. Diese Regelung scheint mir
sachgerecht.
Thema Bürgernähe.
Das Amtsgericht Eggenfelden war, wie die Bayerische Justiz überhaupt, in den letzten Jahren immer bemüht, Bürgern offen und transparent gegenüberzutreten. Wir versuchen den Bürgern die Scheu vor dem Gericht auch damit zu nehmen, in dem wir eine Zeugenbetreuungsstelle vorhalten und einige Male einen Tag der offenen Tür veranstaltet haben. Und ich weiß auch, dass meine Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter immer bemüht sind, den Bürgern offen, freundlich und - wo immer es geht - auch nicht autoritär gegenüberzutreten.
Ist Ihnen schon einmal ein Justizirrtum
begegnet?
Es gibt immer Entscheidungen, über die man nach deren Erlass noch einmal nachdenkt und sich fragt, ob man denn wirklich
richtig entschieden hat. Eine klare, ausgesprochene Fehlentscheidung wüsste ich mir aber jetzt nicht vorzuwerfen.
Viele Strafprozesse werden nicht mehr ausgefochten, sondern außerhalb der öffentlichen Hauptverhandlung im so genannten „Deal“ beendet: Ein Geständnis wird mit mildem Urteil
belohnt.
Ich glaube, dass der von Ihnen angesprochene „Deal“ im
Strafverfahren im Grundsatz seine Berechtigung hat, weil er zu einem zügigen sowie in aller Regel auch gerechten Abschluss des Verfahrens führt und eine
geringere Belastung der Verfahrensbeteiligten mit sich bringt. Es gibt Verfahren, insbesondere in
Wirt- schaftsstrafsachen, welche auf Grund ihrer Komplexität kaum noch verhandelbar sind. Wenn der zur Beweisführung nötige Aufwand, mit oft hunderten von Zeugen und Sachverständigen in keinem vertretbaren Verhältnis zur zu erwartenden Strafe steht, ist der „Deal“ manchmal die einzige Lösung. Ich meine aber, dass der
Bundesgerichtshof und vielleicht auch der Gesetzgeber in der Zukunft noch gefordert sein
werden, die Voraussetzungen und Grenzen solcher Deals näher zu
definieren.
Die Staatsanwaltschaft ist als objektive Behörde gedacht, warum wird sie so selten von Amts wegen zugunsten des Verurteilten im
Wiederaufnahmever- fahren tätig und überlässt das wenigen
spezialisierten Rechtsanwälten?
Die Staatsanwaltschaft hat in Wiederaufnahmeverfahren
wenige Möglichkeiten, von sich aus tätig zu werden, weil sie ja Kenntnis von Tatsachen erhalten muss, die ein solches Wiederaufnahmeverfahren in Gang setzen können. Der
Staats- anwaltschaft diese Kenntnisse zu vermitteln, ist aber in erster Linie Sache des Betroffenen,
beziehungsweise seiner rechtskundigen Vertreter. In der straf-
gerichtlichen Praxis sind Wiederaufnahmeverfahren allerdings extrem selten. Sie werden
wegen ihres Sensationsgehalts nur von den Medien gerne aufgegriffen.
Warum steigt die Zahl der Gewaltdelikte?
Ich habe keine konkreten Zahlen zu dieser Behauptung, aber es mag durchaus sein, dass ein zunehmender Werteverfall, vor allem in jüngeren Kreisen der Bevölkerung, dazu beiträgt, sich nicht mehr mit gewaltfreien Mitteln
auseinander- zusetzen, sondern Lösungen in Gewalt sucht, oft auch in Verbindung mit Alkohol und anderen Drogen.
Da drängt sich die Frage auf: Hat sich das
Jugendstrafrecht nicht bewährt?
Ich meine schon, dass es sich im Grundsatz bewährt hat, aber es werden immer mehr Stimmen laut die meinen, man müsse
gerade im Bereich des Strafrechts für Heranwachsende, also für Personen zwischen 18 und 21 Jahren, eher das
Erwach- senenstrafrecht anwenden, weil sich die Persönlichkeit und das
Wesen dieser Gruppe von Menschen zunehmend hin zum Erwachsenen entwickelt, und nur das Allgemeine Strafrecht dieser Klientel und der von ihr began-genen Straftaten gerecht wird.
Nach Meinung von
Bundesinnenminister Schäuble fördert die Reform des Zuwanderungsrechts die Integration in unserem Land.
Integration ist immer ein
Prozess, der von beiden Seiten betrieben werden muss. Und da kann es nicht schädlich sein, wenn man von demjenigen, der integriert werden soll, auch fordert, selbst etwas dazu beizutragen. Zum Beispiel, in dem er entsprechende Sprachkurse absolviert und sich mit Kultur und Gebräuchen der Bevölkerung, der er zukünftig zugehören möchte, beschäftigt.
Wo sehen Sie
Hauptschwierigkeiten bei der Justizmodernisierung?
Die Justizmodernisierung ist auf einem guten Weg, insbesondere was die
Aus- stattung der Gerichte mit modernen Hochleistungs-Rechnern und der dazu gehörigen Software betrifft. Allerdings bedarf es bei einer Weiterführung der Modernisierung auch entsprechender finanzieller
Mittel. Hier sehe ich allerdings ein Problem, weil natürlich auch die Justiz von den Sparmaßnahmen des Freistaates betroffen ist.
In den bayerischen
Justizvollzugsanstalten sind 11.513 Haftplätze eingerichtet, davon 10.736 für Männer und 777 für Frauen. Sind Frauen intelligenter und lassen sich demzufolge seltener
schnappen, oder sind Männer einfach krimineller ver- anlagt?
Es ist wohl in der Tat so, dass Frauen seltener verurteilt werden als Männer und ich meine, dass Frauen insbesondere im Bereich der Schwerkriminalität, die dann auch zu Haftstrafen führt, in der Tat weniger aktiv sind als Männer.
Derzeit sind circa 44 Prozent der in Bayern inhaftierten
Untersuchungsge- fangenen ausländische Staatsbürger; Ein vereintes Europa bringt also nicht nur Vorteile.
Das vereinte Europa hat meiner Meinung nach keine großen Auswirkungen auf eine
Steigerung der Gesamtkriminalität. Was früher möglicherweise bereits durch ein Abschöpfen der Täter an der Grenze seine Lösung gefunden hat, verlagert sich jetzt ins Inland. Wobei
insoweit das Stichwort „Schleierfahndung“ Bedeutung gewinnt. Der im Vergleich zu anderen Ländern sehr hohe Lebensstandard in Deutschland und Westeuropa bringt es mit sich, dass sich auch die Kriminalität immer mehr internationalisiert.
Anwaltskanzleien gibt es mehr als genug und
demzufolge herrscht hier ein reger Konkurrenzkampf. Dem er-folgreichen Absolventen einer juristischen
Aus- bildung stehen neben der Anwalts-Tätigkeit ja auch die „klassischen“ Berufe des Richters, Staatsanwalts, des höheren Verwaltungsbeamten und des Notars offen. Lockt die
Anwälte das Geld oder der Ruf nach Selbständigkeit?
Für die von Ihnen genannten „klassischen“ Berufe stehen
jedes Jahr nur eine sehr begrenzte Zahl von Stellen bereit. Ich meine, dass die meisten Anwälte aus Überzeugung Anwalt
werden. Schon deswegen, weil dies ein freier Beruf ist und weil man dort, wenngleich auch hier der Zwang zur Spezialisierung
zunimmt, sehr viele juristische Tätigkeitsfelder beackern kann.
Haben Sie irgendwann
einmal selbst Lust verspürt, die Seite zu wechseln und sich als Anwalt
niederzulassen?
Nein. Ich bin sehr gerne Richter, da ich objektiv und unabhängig entscheiden
kann.
Welches Aufgabengebiet
umfasst Ihre Tätigkeit?
Als Amtsgerichtsdirektor bin ich der Leiter der Verwaltung des Gerichts und damit auch für den Einsatz und die Beurteilung der Beschäftigten zuständig. Ich bin teilweise noch als Familienrichter tätig, ansonsten für Nachlass-,
Zwangsvoll- streckungs- und Adoptionssachen zuständig.
Ein paar Karrieredaten.
Wann und wo haben Sie begonnen?
Ich habe im Dezember 1982 am Landgericht in Passau als
Richter begonnen und war dann bereits in Eggenfelden am Amtsgericht tätig. Anschließend war ich in Landshut bei der Staatsanwaltschaft und kehrte wieder als Richter an das Amtsgericht Eggenfelden zurück.
Bleibt Ihnen noch genügend Zeit für ein Privatleben?
Leider viel zu wenig, da ich noch als Bezirks-, Kreis- und
Gemeinderat kommunal- politisch engagiert bin.
Hand aufs Herz, wie viele Punkte haben Sie derzeit in Flensburg?
Gott sei Dank immer noch keine.
Pläne für die
Zukunft?
Ich habe keine Karrierepläne mehr, da ich mein Berufsziel
erreicht habe. Ich will bis zu meiner Pensionierung Direktor dieses Amtsgerichtes
bleiben.
Haben Sie noch einen ganz persönlichen Wunsch?
Ich wünsche mir, dass die Bürger mit der Arbeit des
Amtsgerichts zufrieden sind und das gute Betriebsklima im Haus erhalten
bleibt.
Dr. Lichtnecker, besten Dank für das Gespräch.
|