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WALTER KROHE

Leiter der Wirtschaftsschule Dr. Gester e. V.

Edition: Mühldotf am Inn 2008

 
   
   
   
   
   
     
     
     
   
 

SCHULAUFGABE - Walter Krohe ist Studiendirektor i. P. und leitet die private Wirtschaftsschule Gester e. V., die seit über 50 Jahren zum Bildungsangebot der Landkreise Mühldorf und Altötting gehört

 

Herr Krohe, welchen Bildungsauftrag hat die Wirtschaftsschule Gester? 

Unsere Schule führt zum Wirtschaftsschulabschluss und ist gleichwertig mit den mittleren Schulabschlüssen anderer Schularten. Sie bereitet kompetent auf kauf- männische und verwaltende Tätigkeiten in Wirtschaft und Verwaltung vor und qua- lifiziert durch ihre fundierte Allgemeinbildung auch für andere Berufsfelder. Sie för- dert und fordert ihre Schülerinnen und Schüler durch das differenzierte Angebot an Wahlpflicht- und Wahlfächern und unterstützt sie tatkräftig bei der Ausbildungs- platzsuche. Darüber hinaus ermöglicht sie den Erfolg versprechenden Besuch wei- terführender Bildungsgänge wie Fachoberschule, Berufsoberschule oder Fachaka- demie. 

Wo liegen die Schwerpunkte?

Den wesentlichen Schwerpunkt bilden die kaufmännischen Fächer und die Text- verarbeitung. Keine andere vergleichbare Schulart bietet so viele verschiedene Wirtschaftsfächer wie die Wirtschaftsschule an. Vertieft werden können die erwor- benen Kenntnisse durch die praktische Anwendung in unseren beiden Übungs- firmen. Somit eignet sich unsere Schule am besten für Schülerinnen und Schüler, die sich kompetent und praxisnah für eine kaufmännische oder verwaltende Be- rufstätigkeit in Handels-, Industrie- und Dienstleistungsunternehmen sowie im Handwerk qualifizieren wollen. 

Wie stellt sich die Arbeit in Ihren Übungsfirmen dar?

Eine Übungsfirma ist ein virtuelles Unternehmen, das die reale Geschäftswelt widerspiegelt. Übungsfirmen arbeiten wie reale Unternehmen und handeln mit anderen Übungsfirmen in einer simulierten Geschäftswelt. Unser bayerisches Übungsfirmennetzwerk interagiert mit innerdeutschen Übungsfirmen in Bayern, Thüringen und Sachsen sowie mit internationalen Geschäftspartnern in Österreich oder Italien. Die Übungsfirmen kommunizieren miteinander mit Hilfe von Briefen, E-Mail und internetbasierten Diensten, wie Online-Banking und Online-Shopping. Unterrichtsinhalt des Faches Übungsfirma ist das Kennenlernen einzelner betrieb- licher Abteilungen mit deren Aufgabengebieten und realitätsnahes Üben der Ar- beitsabläufe. Die Schüler und Schülerinnen werden hier unter anderem in den Be- reichen Einkauf, Verkauf, Lagerhaltung oder Zahlungsverkehr eingesetzt, schrei- ben Bestellungen, Lieferscheine, Auftragsbestätigungen, kontrollieren Rechnun- gen und erstellen Kataloge. Als Mitarbeiter einer Firma wenden sie ihre theoretisch erworbenen Kenntnisse aus den einzelnen Unterrichtsfächern Betriebswirtschafts- lehre, Rechnungswesen, Datenverarbeitung und Textverarbeitung praktisch an. Ziel der Übungsfirma ist selbständiges Arbeiten, Teamwork und eine praxisnahe Vorbereitung auf die künftige Arbeitswelt. Unsere Übungsfirmen sind die „Reigest GmbH“, ein Großhandel für Autozubehör sowie die „Fire & Ice GmbH“, ein Großhandel für Sportartikel und Accessoires. 

Wie radikal ist der Wunsch der Wirtschaft nach Auslese der Besten?

Da hat sich im Prinzip zu früher eigentlich nichts geändert, weil man auch früher schon immer nur die Besten haben wollte. Aber die Besten sind zahlenmäßig begrenzt, deshalb haben auch die Schüler mit mittleren Noten eine gute Chance, an attraktive Lehrstellen zu kommen. 

Wie betrachten Sie das Lehrstellenangebot der Region?

 In unserer Region ist es sicherlich geringer als die Nachfrage. Da unsere Schüler aber aus einem sehr großen Einzugsbereich stammen, der bis zum Umkreis von München reicht, und wir über eine schnelle Bahnverbindung nach München ver- fügen, gehen viele Schüler zur Ausbildung in die Landeshauptstadt, wo das An- gebot größer ist. Schülerinnen und Schüler aus der Mühldorfer Region werden dort sehr gerne genommen. 

Kann man die PISA-Ergebnisse zukünftig verbessern?

Der Fragenkatalog der PISA-Studie war im Vergleich untereinander nicht mit allen Ländern identisch. Es wurde zum Beispiel nach der Auswertung einer Grafik ge- fragt, doch um welche Grafik es sich letztendlich handelte, war Entscheidungssache der Länder. Und weil Deutschland sich ja immer perfekt und vorbildlich darstellen möchte, wurden unseren Schülern sehr viele anspruchsvolle Aufgaben gestellt. Wären die Fragen in allen Ländern gleich gewesen, sehe das Ergebnis anders aus. Außerdem ist unser Bildungswesen nicht so schlecht, wie manche es gerne sehen wollen. Zu verbessern gibt es immer etwas, das bezieht sich aber auf alle Aktivi- täten unserer Gesellschaft.

Doch mit welchen Methoden und Arbeitsmaterialien?

Die Erfahrungen der letzten Jahre haben gezeigt, dass die Einrichtung Schule sich mehr darum bemühen muss, den Schüler zur selbstständigen Tätigkeit zu moti- vieren und ihn dahin zu führen, von sich aus problembezogene Aufgaben zu lösen. Der Schüler muss vom passiven Zuhörer zum aktiv Handelnden geführt werden. Dieses Thema war schon vor Veröffentlichung der PISA-Studien ein wesentlicher Teil der Bildungsdiskussion und wird seither auch propagiert. Zum Thema Arbeitsmaterialien gibt es nur eine Antwort und die heißt: EDV. Das ist Standard, auch in der Zukunft. Deshalb sind hier an unserer Schule versetzbare Computer installiert worden, die bei Bedarf auf den Tisch gezaubert werden kön- nen. Jeder Schüler kann bei Bedarf darauf zurückgreifen. 

Thema „Mobbing“?

Unsere Schule betreffend darf ich sagen, dass die Schüler ein wesentlich besseres Verhältnis untereinander, aber auch zu den Lehrern haben, als es noch in den 60er und 70er Jahren war. Zu beobachten ist Mobbing vorwiegend unter Schülerin- nen, und wer dabei etwas beiseite gedrängt wird, sind insbesondere diejenigen, die den modischen und kulturellen Trend betreffenden Ansprüchen ihrer Mitschül- erinnen nicht entsprechen. 

Mobbing unter Lehrern?

 Wir sind ein relativ kleines Kollegium, dass auch im harten Wettbewerb zu dem anderer Schulen steht. Wenn wir gegeneinander arbeiten, riskieren wir die Exis- tenz der Schule. Das will aber nicht heißen, dass alle miteinander gut auskom- men. Es gibt schon Meinungsverschiedenheiten und Differenzen unter Lehrern, aber da jeder zum Unterrichten in seine Klasse geht, werden diese nicht offen ausgetragen. 

Ihr Aufgabengebiet?

Als Schulleiter habe ich die Aufgabe, die Rahmenbedingungen für ein effektives Arbeiten an unserer Schule zu schaffen. Natürlich repräsentiere ich die Schule auch nach außen, unterstütze die Lehrkräfte in ihrem Erziehungsauftrag nach innen und habe Vorbildfunktion für Schüler und Lehrer. Im verwaltungstechnischen Bereich sorge ich für einen transparenten Informationsfluss und unterstütze effizient die schulinternen Prozesse mit dem Ziel, die Bürokratie abzubauen und dadurch den Lehrkräften mehr Freiraum für ihre Kernaufgaben zu verschaffen. Ich unterrichte auch selbst, und zwar in den Fächern Rechnungswesen, Betriebswirtschaft, Sozial- kunde und Volkswirtschaft.

Sie leiten die Schule seit dem Jahr 2000. Welchen Tätigkeiten gingen Sie vorher nach?

Nach dem Studium der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften an der Universität Augsburg begann ich mit dem Referendariat für das höhere Lehramt an kauf- männischen Schulen, lehrte an den Berufsschulen in München und Passau, später dann an der Berufsschule und der Wirtschaftsschule am Berufschulzentrum Kemp- ten. Zuletzt arbeitete ich dort als Studiendirektor und Fachbetreuer der Industrie- und Speditionsklassen. 

Warum wollten Sie Lehrer werden?

Mein Wunsch war es immer schon, jungen Menschen etwas zu vermitteln und mit ihnen zu arbeiten. Positiver Nebeneffekt meines Berufes ist auch, dass man im Umgang mit jungen Menschen selbst jung bleibt, zumindest im Geiste. 

Was würden Sie am heutigen Schulsystem verändern?

Es sollte nicht so früh zu einer Auslesung der Schüler führen. Sehr viele Kinder entwickeln sich erst mit zwölf, dreizehn oder vierzehn Jahren. Die sehr frühe Aus- lese benachteiligt meiner Ansicht nach vor allem die Jungen, die sehr viel später als die Mädchen erfassen, warum Schule und schulisches Wissen für den späteren Erfolg notwendig ist. 

Waren Sie selbst ein guter Schüler?

Ich habe alle meine Ziele, die ich mir gesetzt habe, erreicht. Ein guter Schüler dahingehend gewesen zu sein, nur gute Noten gehabt zu haben, kann ich aber in keinster Weise von mir behaupten. Ich bin wie jeder andere in der Zeit der Puber- tät durch ein tiefes Notental gegangen, habe aber zum Ende der Schulzeit hin meine Noten stabilisiert und später auch meine Prüfungen an der Universität, zwar nicht als Jahrgangsbester, aber doch in einem soliden Bereich abgeschlossen. 

Gibt es eine Identifikation der Schüler mit der Schule?

Der Tenor vermittelt schon einen gewissen Stolz der Schüler in Bezug auf unsere Schule, und es gibt sogar eine sehr hohe Identifikation, was sich vor allem in ereignisreichen Momenten, wie Informationsabende oder am „Tag der offenen Tür“ widerspiegelt, an denen viele Schüler sehr gerne unsere Schule repräsen- tieren. 

Was, glauben Sie, war Ihr größter schulischer Erfolg?

Der liegt schon einige Jahre zurück und bezieht sich auf mein zweites Jahr an der Schule in Kempten, wo ich einer Klasse zugeteilt wurde, die eigentlich keiner mehr haben wollte. Diese Klasse setzte sich aus lauter Wiederholern und eher verhal- tensauffälligen Schülern zusammen. Mir wurde sie als Klassenleiter anvertraut und ich habe sie, ohne dass es größeren Ärger gab, komplett so zur Prüfung gebracht, dass wirklich jeder die Mittlere Reife erreichte. Was mich in diesem Zusammen- hang besonders freut ist die Tatsache, dass ich zu einigen dieser „Problemschü- ler“ bis zum heutigen Tage Kontakt habe, und dass inzwischen alle in ihrem Beruf sehr erfolgreich geworden sind. Manche kontaktieren mich auch heute noch, wenn sie Probleme haben oder wirtschaftliche Auskünfte benötigen. 

Welche Probleme gibt es an Ihrer Schule?

Das größte Problem unserer Schule ist, geeignete Lehrer zu bekommen. Da der Staat den Lehrern den Beamtenstatus und somit eine lebenslange Versorgung anbietet, ist es der Wunsch fast aller, in den Staatsdienst zu wechseln. Eine private Schule mit guten Lehrern auszustatten, bedeutet großen Kraftaufwand seitens der Schule und deren Trägerschaft. Bislang ist es uns aber jedes Jahr gelungen. 

Welche Visionen möchten Sie noch realisieren?

Meine Vision ist es, Abgängern der Wirtschaftsschule die Möglichkeit zu bieten, bereits in dem eingeschlagenen Weg nicht nur die Mittlere Reife zu absolvieren, sondern auch die Möglichkeit, die allgemeine Hochschulreife zu erwerben. Vorbild für diesen Gedanken sind die österreichischen Handelsakademien. Das geht na- türlich nur in Zusammenarbeit mit gleichdenkenden Kollegen, die andere Wirt- schaftsschulen leiten. Konzepte dafür wurden bereits erarbeitet und den entspre- chenden Gremien vorgestellt.

Fehlt den Politikern der Mut zur Investitionen in Bildung?

An Mut nicht, eher am Geld. Vor allem darf nicht länger Flickwerk betrieben wer- den, hier ein wenig reformiert und dort wieder eingespart. Unser Bildungssystem kann nur dann gesunden, wenn es politisch und gesellschaftlich ernsthafte Prio- rität erhält. Bildung darf schon etwas kosten, denn Bildung ist wertvoll und unsere Kinder sind unsere Zukunft. 

Gelten die Schüler beim Blitzabitur als Versuchsobjekte?

Als Leiter einer Wirtschaftsschule kann ich das nicht beantworten. Meiner privaten Meinung nach finde ich, dass eine Unterrichtsbelastung von 37 Stunden für einen 15-jährigen Menschen nicht zumutbar ist. Zumal darüber hinaus auch noch Haus- aufgaben zu tätigen sind und auch noch die An- und Abfahrtszeit hinzuzurechnen ist. Ich bin der Meinung, man sollte einem 15jährigen schon noch die Möglichkeit geben, zu leben. 

Bayern plant Noten, Herkunft und Bildungserfolge aller Schüler in einer landes- weiten Datenbank zu speichern. Kommt bald der gläserne Schüler?

Ich habe keine großen Bedenken dabei, sofern diese Statistik vernünftig angelegt wird, weil sie zur Verbesserung der momentanen Situation führen würde. 

Viele Eltern sehen in den Lehrern auch die Erzieher ihrer Kinder. Ihre Meinung dazu?

Die Lehrer sind eine ganz wichtige Bezugsperson für die Kinder, und zwar sowohl für einen Sechsjährigen als auch für einen 19- oder 20-Jährigen. Durch sein pä- dagogisches Vorbild und dadurch, dass er ansprechbar ist, kann er mit dem Schüler viele Probleme besprechen, die dieser nicht mit den Eltern diskutieren möchte - natürlich im Vier-Augen-Gespräch. 

Wie viele Schüler sind an Ihrer Schule?

In den letzten acht Jahren sind wir sehr stark expandiert, die Zahl stieg von 240 auf 360. 

Ist somit die Kapazität der Schule bereits ausgelastet?

Ja, ist sie. Und wenn sich mehr Schüler melden als wir unterbringen können, dann werden sie nach Eignung und Leistung von uns ausgesucht. 

Der Schulbesuch kostet?

Pro Schüler 95,- Euro im Monat. 

Woran messen Sie den Erfolg Ihrer Schule?

An zwei Punkten. Zunächst einmal müssen die Schüler gut auf die Abschlussprü- fungen vorbereitet werden, damit sie den vom Bayerischen Ministerium für Unter- richt und Kultus gestellten Aufgaben gewachsen sind. Darüber hinaus ist es wich- tig, dass sie einen entsprechenden Anschluss erhalten. Eine Schule der es nicht gelingt, ihre Schüler so zu bilden, dass sie am Ausbildungsmarkt begehrt sind, ist sinnlos. In den letzten acht Jahren ist es uns im Schnitt gelungen, rund 95 Pro- zent unserer Schüler zu vermitteln. 

Worin besteht der Unterschied von früher zu heute?

Der ergibt sich aus der Tatsache, dass sich Deutschland zu einer Dienstleistungs- gesellschaft entwickelt hat. Viele Tätigkeiten übernehmen heute automatisierte Roboter oder werden ins kostengünstigere Ausland verlagert. Was bleibt sind Arbeitsplätze im Dienstleistungsbereich, die sehr stark verknüpft sind mit der qualifizierten Ausbildung von Arbeitnehmern. Wir als Schule sehen uns deshalb auch als Dienstleister und leisten mit der Erfüllung unseres Bildungsauftrages einen wesentlichen Beitrag zur Stabilisierung der Wirtschaft und sorgen dafür, dass Deutschland fit für den weltweiten Wettbewerb wird.

Herr Krohe, besten Dank für das Gespräch.

     
 © 2012 RALF HANSEN STADTBROSCHÜRENVERLAG